„Sontag arbeitete sich gewissermaßen aus ihrer schweren Krise heraus. In den Jahren zwischen 1973 und 1975 schrieb sie einen brillianten Essay über den französischen Poeten und Theatertheoretiker Antonin Artaud und mehrere Artikel über feministische Themen für Zeitschriften … Schließlich begann sie auch ihre berühmten Essays über Fotografie für die New York Review of Book zu schreiben.“
Wenn ich diesen Satz lese, habe ich fast zwei Drittel des Buches von Daniel Schreiber über Susan Sontag durchgelesen. Danach kommt ein Schlüsselsatz: „Ein Ergebnis dieser Phase ungeheurer Produktivität war vorübergehende finanzielle Sicherheit.“ (161)
Am 16. Januar 1933 wird Susan Lee Rosenblatt geboren, die später Susan Sontag hieß. Bis 1975 war das Thema Fotografie für sie kein Thema für Texte. Sie arbeitete eher mit dem Medium des Films nachdem sie Bücher geschrieben hatte, die vielfach ihr Bemühen zeigten, auf dieser Welt zu sein.
Bis heute werden immer wieder ihre Essays zitiert, wenn es um Fotografie und Leid geht.
Und wieder einmal zeigt ihre Biografie, wie der Kampf ums Geld alles bestimmt. Schon öfter fiel mir auf, daß das Schicksal von Kulturschaffenden im Bereich der Fotografie und Literatur vielfach von Geldnot geprägt ist.
Bis Mitte 40 war ihr Leben geprägt von Kampf ohne Anerkennung in größerem Ausmaß. Und sie blieb sich treu, wobei dies ja meint, sich so mit der sozialen Welt auseinander zu setzen, daß man seine Meinungen entwickelt und weiterentwickelt, ohne sich selbst dabei zu verlieren, sondern dabei das Gefühl hat, authentisch zu bleiben (was nicht Stillstand bedeutet sondern Veränderung).
„In gewisser Hinsicht blieb Sontag ihr ganzes Leben im Herzen eine Radikale, wie ihr Freund Steven Wasserman berichtet, die nie die Fähigkeit verlor, morgens die Zeitung aufzuschlagen und entrüstet zu sein. Aber Sontags Riefenstahl-Affäre markiert ihren endgültigen Abschied von den radikalen Bewegungen der sschziger und frühen siebziger Jahre.“
Das war Daniel Schreiber 2009. Im Jahr 2013 schreibt er dann über die Tagebücher von Susan Sontag, die nach seiner Biografie erst publiziert wurden. Da wird deutlich, daß Sontag bis Mitte der 80er Jahre auf Speed war und ohne Drogen gar nicht geschrieben hat.
So ist auch ein Buch eine fortwährende Positionierung, die durch spätere Informationen noch bunter wird und – wie in diesem Fall – interessant bleibt.
Aber das ist nur der bürgerliche Blick, der sich innerhalb der normierten Welt bewegt.
Wenn man seinen Horizont durch Lesen erweitert und erfährt, daß sie 1976 an Krebs erkrankt war und in der Konfrontation mit dem Tod und ihrem Leiden den Leidensdruck hatte, der offenkundig zur Produktivität führte, dann relativiert sich alles. Dann wird auch Speed zu einer Metapher, die im Angesicht des Todes der Lebenszeit einen neuen Wert gibt.
Das Sterben und der Blick auf unsere Endlichkeit im eigenen Erleben scheint oft der Pfad zu sein, der aus einer Lebenszeit eine Erlebenszeit macht.
Die nächsten dreissig Jahre bis zu ihrem Tod waren voll mit dem, was das wirkliche Menschsein ausmacht: Jeden Tag neu anzufangen, die Angst zu überwinden, das Leiden anzunehmen und authentisch zu sein für sich und die Welt drumherum.
Mit Über Fotografie und Krankheit als Metapher gelang es ihr zwei Themen in die Öffentlichkeit zu bringen, die viele Menschen erlebten aber die so vorher öffentlich nicht diskutiert wurden.
Als sie 1998 wieder erkrankte war Annie Leibovitz bei ihr. Sie ermutigte ihre Freundin, die Stadien der Krankheit und sie fotografisch zu dokumentieren.
Fototherapie als Begegnung mit der Wirklichkeit kann helfen, sich schwierigen Situationen anzunähern und sie dadurch anzunehmen.
Als es besser wurde kam der Tag, der auch ihre Rückkehr ins Reich des Essays wurde. Sie saß am 11. September 2001 im Adlon in Berlin und erlebte die Terroranschläge in den USA. Sie mischte sich ein und sie schrieb wieder. „Das Leiden anderer betrachten“ wurde ein Buch, in dem sie auch Dinge revidierte und so weitere Blicke ermöglichte.
(Polemik: Ihre klare Analyse der amerikanischen Politik führte wohl auch dazu, daß sie zwar den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, aber die politischen Feiglinge aus Amerika und aus Deutschland – wie Joschka Fischer und Gerhard Schröder – der Preisverleihung fernblieben. Dafür kamen andere.
Wir stehen heute vor dem Scherbenhaufen dieser politischen Versager in Deutschland und darüber hinaus. Im Gegensatz zu ihr haben diese ihre Bewertungen nicht revidiert. Das unterscheidet einige Intellektuelle vielleicht von Politikern.)
Wir betrachten heute täglich das Elend in den Medien. Aber Sontag kam eben auch zu dem Schluß, daß das Betrachten nicht unbedingt zum Handeln führt sondern eher zum Umschalten am Fernseher…
Der Tod holt uns alle ein.
Je schneller er ist, desto weniger müssen wir leiden und dies betrachten.
Aber in ihrem Fall wurde das Sterben ein öffentliches Ereignis.
Und weil in dieser Familie fast alles aufgezeichnet wurde, wird sogar nach ihrem Tod weiter darüber publiziert.
Wäre es nicht geschehen, könnte ich nicht darüber schreiben und das eigene Handeln an ihren intellektuellen Aussagen messen.
Auch Annie Leibovitz lebt weiter und das Leben schreibt neue Geschichten.
Dazu gehört auch diese Geschichte hier, die über Krankheit, Tod, Leid, die Konfrontation mit dem Sterben, die Angst und ihre Überwindung und das Leben mit der Fotografie erzählt.
Das Buch von Daniel Schreiber bietet dazu einen wirklich guten Einstieg, Suchmaschinen helfen aktuell noch, mehr zu finden.
Und dies alles habe ich hier aufgeschrieben, weil es natürlich mit Dokumentarfotografie zu tun hat.
Es ist gelebte Dokumentarfotografie und es ist Leben mit Fotografie.
Aber ihre Essays in Textform sagen mehr als dies Fotos könnten.
So ist die Beschäftigung mit Susan Sontag eine Beschäftigung mit Grenzen,
- im Kopf,
- im sozialen Leben,
- der Aussagekraft von Fotos,
- der Stärke von Texten und
- dem Leben und Sterben bis zur letzten Grenze
Ich widme diesen Text Anne und Hans Wiertz, weil ich beim Schreiben dieses Textes immer an sie denken mußte. Sie sind viel zu früh gestorben und haben alle Leiden der Krebskrankheit miteinander erlebt. Worte derer, die nicht leiden, können nicht erfassen, was die Leidenden durchmachen. Aber nur zu schweigen ist auch keine Lösung.
Ich finde die Frau etwas schwierig. Zudem glaube ich, heute ist die Zeit anders. Mir gefällt dieser Text aber Leiden betrachten ist sehr theoretisch. Ich arbeite im Krankenhaus und sehe viel Leid. Da wäre mehr zu zu sagen. Weiter so!