„Zille hat eigene Fotografien als Skizzen … für sein zeichnerisches Werk verwendet. … In beiden Fällen hat er das Thema in den Zeichnungen mit künstlerischen Mitteln pointiert und damit ihre Wirkung stark gesteigert.“
Zille war einer der Urväter der Streetphotography in Deutschland und er war ein Veteran der sozialdokumentarischen Fotografie. Das kam aber erst später heraus. Bekannt wurde er nur durch seine Zeichnungen.
Die Fotografien dienten Zille dem Festhalten und als Vorlage für seine Zeichnungen.
Rolf Fischer ist der Autor eines Buches, das nun genau diesen Zusammenhang untersucht.
Es ist ein wunderbares Buch geworden und zeigt, wie viel Wirklichkeit in Heinrich Zilles Zeichnungen steckt.
Gerade die Kombination von Zeichnung und Foto macht die sozialdokumentarische Funktion der Bilder – als Fotos und Zeichungen – besonders deutlich.
Klaus Staeck hat sich einmal zu Heinrich Zille geäußert:
„Heinrich Zille ist ja jemand, von dem alle glauben, sie würden ihn kennen. Man kennt seine derben, wunderbaren Karikaturen, Zeichnungen, jeder hat einen anderen Begriff dafür, aber das ist nur ein Teil von Zille. Er war ein Avantgardist, vor allen Dingen als Fotograf. Für uns heute ist er jemand, der wie kaum ein Zweiter die sozialen Verhältnisse um die Jahrhundertwende und Anfang des letzten Jahrhunderts dargestellt hat, satirisch zum Teil, aber eben auch vor allen Dingen sozialkritisch….
Heinrich Zille ist insofern modern, als er durch seine Fotos jemand war, der neue Wege gewiesen hat. Und er ist modern insofern, als er uns daran erinnert, dass die Kunst auch eine Aufgabe hat, indem sie den Teil der Wirklichkeit beschreibt, den wir am liebsten verdrängen wollen. Das ist das Elend, das ist Kinderarmut, das ist auch Verwahrlosung in vielerlei Hinsicht. Wir reden heute immer alle über Jugendgewalt etc. Es gibt Themen, die bleiben.“
Heinrich Zille war Zeichner und er war Künstler – als Zeichner und durch seine Art zu leben. Das darf man nicht vergessen. Denn sein Werk ist einzigartig, weil es nichts vergleichbares gibt. Er wurde populär durch Zeichnungen der Wirklichkeit. Er malte nicht auf der Leinwand sondern auf dem Papier und nutzte Zeitschriften und Medien, um seine Arbeiten zu zeigen. Nicht das eine Bild sondern das gedruckte Bild bzw. die gedruckte Zeichnung zeigten sein Schaffen.
Zeichungen sind keine fotografischen Abbildungen. Zille nutzte Fotos als Vorlagen. Seine Zeichnungen zeigen dann das, was er betonen wollte. Dies finden wir ebenfalls sehr schön in dem Buch wieder.
Das Buch wirft aber noch mehr Fragen auf.
Wie wirklich ist die Wirklichkeit und wann ist die Wirklichkeit wirklich?
Ist eine Zeichnung wirklich und dokumentierend oder ist dies nur bei einem Foto möglich?
Wenn man sich die Fotos und Zeichnungen in diesem Buch anschaut, dann wird deutlich, daß beides dokumentieren kann.
Wir sind heute mehr an Fotos gewöhnt.
Aber ein Foto ist deshalb noch nicht dokumentierend wie wir bei jedem Werbefoto wieder sehen.
Wie viel Wirklichkeit steckt in einem Foto und wie betont man Dinge?
Das sind Themen, die man beim Anschauen dieser Fotos studieren kann.
Somit ist dies alles mehr als ein Blick zurück.
Es ist eine Schule des Sehens und es ist ein Bericht über Armutsfotografie und Milieustudien.
Zille zeigt uns Armut in seinen Fotografien und mit seinen Zeichnungen. Er zeigt uns aber auch die Welt des Rummels, der Kirmes und die verschiedenen Volksschichten auf öffentlichen Plätzen und das Leben mit Armut. Sein Werk ist eine einzige Auseinandersetzung mit der Welt, in der er lebte bzw. die ihm begegnete.
Ich halte dieses Buch für ein kulturhistorisches und fotografisches Juwel mit sehr praktischen Anwendungsmöglichkeiten.
So hat Heinrich Zille auch heute noch etwas zu bieten, was für die engagierte Dokumentarfotografie sehr nützlich sein kann.
Und der Autor hat einen klugen Ansatz verfolgt.
Das Buch ist im Komet-Verlag erschienen.
128 Seiten, Format 21 x 26 cm
ISBN 978-3-86941-126-2
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